Nachdenklich stand Eileen vor dem Altar und blickte unsicher auf das rote Tuch und die vier farbigen Kerzen darauf. Die vier Flammen waren das einzige Licht auf der windumspielten Terrasse von Burg Grüntann. Ansonsten umgab sie fast völlige Dunkelheit.
Auf ihren Wunsch hin hatten die Männer und Frauen des Drachenordens sie hier allein gelassen. Eileen hatte noch nie zu den Alten Drachen gebetet und hatte Angst, den Riten des Ordens nicht zu genügen. Zwar hatte Raurik ihr versichert, das sie sich auf der Suche nach Trost oder Weisung jederzeit an Die Vier wenden könnte – ungeachtet jeder Form – aber die Wahrheit war, dass sie sich noch immer nicht sicher war, ob es ihr überhaupt zustand. Ja, sie trug das Zeichen des Ordens an ihrem Gürtel und ja, sie trug es voller Stolz aber gab ihr das das Recht, die Alten Drachen um etwas zu bitten? Schließlich hatte sie nie eine Ihrer Weihen erhalten und schlimmer noch, ab und an wirkte sie Zauber, die der Drachenorden verurteilte. Zwar hatte sie begonnen, eben jene Zauber in Frage zu stellen, aber dennoch...
Eine vertraute Präsenz berührte ihren Geist. Eileen wollte sich schon ihrem Totem zuwenden, als Luchs sie so unmissverständlich wie aufmunternd in den Rücken stieß. Wie Recht er hatte. Hier ging es schließlich nicht um sie.
Mit einem tiefen Atemzug trat Eileen eine Schritt vor, sank auf ein Knie und senkte den Kopf.
„Ihr Vier Alten Drachen“, begann sie. „Bitte vergebt mir, dass ich das Wort an Euch richte. Doch nicht um meinetwillen spreche ich hier zu Euch, sondern um für einen Mann zu bitten, den ich mit Freuden ‚Bruder’ nennen würde, stünde es mir zu. Ein Sohn des Ordens, Euer Streiter Norik...“
Sie stockte. All die Worte, die sie sich zurecht gelegt hatte waren plötzlich verschwunden, als die wiederaufkeimende Sorge ihr die Kehle zuschnürte. Sie fühlte sich so hilflos. Nicht nur, dass es kaum in ihrer Macht lag, Norik zu helfen; die Brüder und Schwestern des Drachenordens waren sich sicher, dass Norik jede Hilfe ablehnen würde. Er musste diesen Weg ohne seine Freunde beschreiten. Und eben das machte ihr Angst.
„Bitte“, fuhr sie fort. „Bitte steht ihm in dieser schweren Zeit bei. Ich...“
Abermals brach Eileen ab, unfähig, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. Es zerriss ihr das Herz, als sie an Norik dachte und an die Trauer in den Gesichtern seiner Ordensbrüder. Und in Noriks Augen hatte ein so unsäglicher Schmerz gestanden. Wenn sie ihn doch nur lindern könnte!
„Sorge Dich nicht, Eileen. Er ist in unserer Obhut.“
Eileen schrak zusammen und blinzelte in die Kerzenflammen. Was...? Die machtvolle Stimme hatte in ihrer Seele geklungen und sie mit Wärme erfüllt, Zuneigung sogar. Aber konnte das sein? Spielten ihre Ängste und Sehnsüchte ihr einen Streich? Gaukelte ihre Hoffnung ihr...
Diesmal war die Stimme ungleich gebieterischer.
„Zweifle nicht.“
Eileen hob den Kopf und blickte in den Nachthimmel über ihr. Er war mit unzähligen strahlenden Sternen übersäht.
Sie lächelte.